Best Of Pseudodrom        

Auswahl der besten Kurzgeschichten und Beiträge

von den PD-Pseudos






Das Leben kann so stöhn sein!

Ein zu Herzen gehender Roman von Johanna-Maria Schimmel


Es war ein sonniger Vormittag in Kalifornien. In Hamburg dagegen fiel der Schnee gleich bergeweise vom Himmel und türmte kleine weiße Häufchen auf die Schultern von Marie-Luise Wollmütz, die traurig an der zugefrorenen Elbe stand und an ihren jüngst verschiedenen Vati dachte.
Selbstvorwürfe zermarterten ihre Gedanken. Hätte sie ihn die selbst gesuchten Pilze nicht essen lassen sollen? Wehmütig erinnerte sie sich an die trauten Abende mit ihrem Vati. Wie gerne hatten sie beide vor dem Farb-Fernseher gesessen und die vielen, vielen bunten Bilder geschaut.
Doch das war nun vorbei. Heiß rannen ihr die Tränen durch das üppige Make-up und verwandelten ihre rehblauen Augen in ein Farbenmeer. Sie war verzweifelt. Nun mußte sie selbst für sich sorgen. Nun war sie ganz allein.
Schließlich trocknete sie ihre Tränen und wandte sich dem großen Kaufhaus zu, um dort um Arbeit nachzufragen. Entschlossen trat sie mit ihren langen, wohlverformten Beinen durch die Türe und sprach die nächstbeste Verkäuferin an. "Wo geht es denn hier bitte zum Personalbüro?" "Zweite Tür links, hinter den Socken", antwortete die freundliche Dame. "Aber gehen Sie erstmal in den Waschraum, Sie sehen ja aus wie von Picasso gemalt!" "Ach", antwortete Marie-Luise, "ich bin nur vom Schicksal gezeichnet."
Doch sie befolgte den Rat und stand kurze Zeit darauf vor dem winzigen Spiegel und kämmte ihre langen, strohigen Haare. Sorgsam knödelte sie es zu einem Knoten und steckte sich eine glitzernde Plastikspange hinter das rechte Ohr.
Nun war sie bereit für den schweren Gang!
Ihr Herz klopfte genauso laut, wie der Knochen ihres Zeigefingers an die schwere, aus Limbaholz gefertigte Tür. Eine kräftige Baßstimme murmelte: "Herein!" und Marie-Luise trat in das genauso geschmacklos wie schlicht eingerichtete Büro.
Ein Blick aus stahlbraunen, milden Augen brannte sich auf ihrem Gesicht fest. Verstört betrachtete sie den großen, stämmigen Mittdreißiger, der sich soeben erhoben hatte, um sie zu begrüßen. So also begegneten sich Marie-Luise Wollmütz und Karl-Rüdiger von Siebenschnee zum ersten Male.
Es war, als wenn Geigenmelodien vom Himmel strömten, als sich ihre Blicke ineinander bohrten. "Du sollst nicht arbeiten!" sagte Karl-Rüdiger mit sanfter Stimme. "Du sollst meine Frau werden und mir ein Dutzend kleine Kinderchen schenken!" "Oh, wie gern!" jubelte Marie-Luise. Und: "Es gibt sie also wirklich, die Liebe auf den ersten Blick!" Sofort machten sie sich auf den Weg zum Standesamt um das Aufgebot zu bestellen. Schon drei Wochen später war es soweit.

Die Hochzeitsglocken läuteten Sturm als Marie-Luise und Karl-Rüdiger dem Pfarrer ein glückliches ''Ja" entgegenschmetterten.
Acht Monate und eine Woche später lag Marie-Luise im Krankenhaus in einem gemütlichen Bett und ein gesundes Knäblein nuckelte an der Brust, die so voller Liebe war. Wie hungrig der kleine Kerl war! Und wie naß... Entnervt besah sich Marie-Luise die Bescherung in der winzigen Hose.
"Oh Gott", dachte sie, "und Windeln gibt es sogar bis 18 Kilo!!!"
Entsetzen schlich sich in ihre Gedanken. War dieses das Leben, welches sie sich vorgestellt hatte? Würde sie je wieder die Zeit finden, in aller Ruhe die schönen Beiträge im Radio zu hören, die bunten Bilder in den Zeitschriften anzugucken? Nein, nie wieder würde ihr das gelingen. Und wollte Karl-Rüdiger nicht noch elf von diesen schreienden Bündeln haben? "Niemals, niemals, niemals!"
Aber sie würde sich zu helfen wissen! Hatte nicht auch ihr lieber Vati die selbst gesuchten Pilze mit großem Appetite gegessen...?


(erschienen 1987 im PD Nr. 4)






Wie ich mich fühle (New Views)


Ich sitze noch immer an dem Tisch, an dem du mich zurückgelassen hast.
Eine mantelgleiche Stille ist über mich gefallen.
Du bist schon eine Weile fort, doch deine Worte haben nicht denselben Ausweg wie du gefunden, nachdem wir zusammen geschwiegen hatten.
Deine Worte umtanzen mich noch als melancholischer Gitarren klang einer alten Weise, gegenwärtig, aber ungreifbar. So hasche ich Begriffen, Bildern von dir nach, immer dichtauf, aber ohne tatsächliche Hoffnung, jemals etwas zu erreichen.
Es ist Zeit verflossen, mit jedem Ton ein Tropfen, und wie viele Flüsse angestauter Zeit haben wir überbrückt?
Trotz aller nachdenklichen Schwermut fühle ich einen fröhlichen Tanz in mir und bleibe doch bewegungslos sitzen, Muster in der Stille suchend.
In dem Haus um mich sind Worte von dir, Gedanken, Meinungen.
Ich suche sie, seit du gegangen bist. Sie haben sich mit dir verborgen und ich irre in der Wüste voller Erinnerungen in mir herum.
Ich habe eine Stimme in mir und denke an ein helles Gesicht, eine Erscheinung in einem Ozean voller ungesagter Worte, und dieses Gesicht weist mir in seinem Glanz eine Brücke über meine Unsicherheit, doch ich stehe allein und finde nicht die Kraft, mich für eine Richtung zu entscheiden.
Die Musik in mir ist lauter geworden, vernehmlicher. Sie schenkt mir ein inneres gleißendes Licht, während der Ozean um mich sicheren Boden mit seiner Flut bedeckt. Das Licht vor mir leuchtet stärker und Teile meiner Unsicherheit fallen ins Vergessen, als ich den Weg zurück zu mir entdecke.
So versuche ich schließlich im Schweigen mich zu besinnen, finde mich schwebend auf einem Berg, errichtet durch viele geschwiegene Dialoge, ein Berg wie viele, die mühsam entstanden sind, und die als dunkle Hügel am Horizont der Vergangenheit versinken werden, wenn
du wieder bei mir sein wirst.
Wenn wir wieder schweigen werden.


(Inspiration durch das Instrumentalstück "New Views" der Gruppe Tribute)

Traumweber, 1985 ----- (erschienen 1987 im PD Nr. 5)







Ein Freund ist jemand, der Dich gern hat


Ein Freund ist jemand, der Dich gern hat.
Es kann ein Junge sein...
Es kann ein Mädchen sein...
Oder eine Katze...
Oder ein Hund...
Oder gar eine weiße Maus.

Ein Baum kann auch Dein Freund sein.
Er spricht nicht zu Dir, aber Du wei§t,
Er hat Dich gerne, weil er Dir Äpfel gibt
Oder Birnen...
Oder Kirschen...
Oder auch einen Ast zum Schaukeln.

Ein Bach kann auch Dein Freund sein.
Ein ganz besonderer...
Wenn er gluckert und plätschert,
Dann spricht er mit Dir.
Er kühlt Dir die Zehen
Er läßt Dich still an seinem Ufer sitzen,
Wenn Du nicht reden magst.

Auch der Wind kann Dein Freund sein.
Er singt sanfte Lieder für Dich, in der Nacht,
Wenn Du müde bist und allein.
Manchmal ruft er Dich zum Spiel.
Er schiebt Dich vor sich her
Und läßt die Blätter für Dich tanzen.
Er ist immer um Dich, wohin Du auch gehst,
Und darum weißt Du, er hat Dich gern!

Manchmal erkennst Du Deine Freunde nicht,
Auch wenn sie bei Dir sind, die ganze Zeit.
Du gehst an Ihnen vorbei
Und siehst nicht, wie gern sie Dich haben,
Auf ihre Art...

Und wenn Du dann denkst
Du hast keine Freunde...
Dann mußt Du innehalten,
Und Dich besinnen...

Ob Dich vielleicht jemand angelächelt hat, Auf seine Art.
An einen Hund, der mit dem Schwanz wedelt,
Wenn Du in seiner Nähe bist.
An einen Baum, der Dich leicht hinaufklettern läßt.
An einen Bach, der Dich still an seinem Ufer sitzen läßt,
Wenn Du nicht reden magst.
Freunde mußt Du eben manchmal suchen...

Manche haben viele, viele Freunde,
Manche haben nur ein paar Freunde

Aber jeder,
Jeder in der ganzen, weiten Welt
hat bestimmt EINEN Freund.
*

Hast Du Deinen gefunden...???


Esmeralda ----- (erschienen 1987 im PD Nr. 6)


* A.d.S.: Stimmt, im PD hatten wir auch einen Freund... ;o)






An Stargirl, Amazonia und Mona Lisa


Wenn wir Burschen schöne Frauen sehen,
Dann können wir oft nicht widerstehen.
Wir möchten sie mit Charme verführen,
Sie streicheln, küssen und berühren.
Manch' einer von uns sehnt sich nach Liebe,
Uns leiten nicht nur niedere Triebe.
Stargirl, Du bist so fotogen,
Dein Gesicht find' ich immer wieder schön,
Dein Kuschelpfötchen in meiner Hand,
Hat in mir der Begierde Feuer entflammt.
Mona Lisa, süß und nett,
nehm' ich gerne mit in's Bett.
Willst Du pennen, so kannst Du Dich an mich schmiegen,
In meinen Armen Dich zu wiegen,
sei für mich ein edler Genuß,
Gern' geb' ich Dir mehr als nur einen Kuß.
Dein Gesicht ist hübsch und fein,
Dein Fellchen lädt zum Streicheln ein,
Ich war angenehm überrascht
Und hätte Dich zu gern' vernascht.
Auch unserer Amazonia
War ich am Sonntag gerne nah,
Ich durfte ihre Hände wärmen
Und konnte mächtig von ihr schwärmen.
Mit Heldentaten sich profilieren,
Das ist die richtige Tour zum Mädchenverführen,
Sie beten ja gerne die Helden an,
So zeigt man sich gern' als gestandener Mann.
In Deine Augen Dir zu schauen,
In Deine tiefen und leuchtend blauen,
Dein kurzgeschorenes, duftiges Fell
Verführt mich zum Schnuppern, da bin ich sehr schnell.
Wenn's mich mal wieder nach Bünde verschlägt,
Dann hoffe ich, daß man sich noch verträgt.
Du siehst zwar nicht aus wie ein Titelbild,
aber das ist schließlich auch halb so wild.
Quatschen kann man ganz gut mit Dir,
Der Abend im Dolbi war schön mit Dir,
Ich hoffe, daß Du dies' auch so siehst
Und mir noch öfters das Weekend versüßt.


Gelfling ----- (erschienen 1987 im PD Nr. 6)


* A.d.S.: Köstlich, köstlich... Ich habe zunächst gezögert, dieses "Meisterwerk" zu veröffentlichen, aber das "Kuschelpfötchen" und das "Fellchen" gaben schließlich dann doch den Ausschlag. Gelfling ist übrigens für dieses tollkühne Baggergedicht im PD ziemlich verhauen worden...*gg*









Der Held unserer Geschichte zählt sich zu den besten Detektiven der Welt.
Seine langjährige Tätigkeit als Agent bei der Humbug-Mannheimer, dem größten Geheimdienst diesseits der Elbe, gibt ihm wohl auch das Unrecht dazu.
Sein Name ist: Jerry Nylon.
Er hat sich mit allen Wassern gewaschen, er hat Helmut Schmidt eine Zigarette angeboten und Ronald Reagan schon einmal im Kino gesehen. Kurz, er kennt alles und jeden. Er lutscht mehr Lollies als Kojak und liebt schneller als James Bond.
Er ist eben der Beste. Er ist Jerry Nylon.
Diesen Morgen wollte er eigentlich ausschlafen, hatte er sich gedacht, denn er hatte sich Urlaub genommen, um den Pippi-Langstrumpf-Film im Nachmittags-Programm zu sehen. Er steht auf Strapse... Doch es sollte ganz anders kommen.
Ein schrilles Rasseln holte ihn aus seinen Träumen. Gerade noch befand er sich am Strand von Hawaii, umgeben von den schönsten Hula-Hula-Mädchen, doch nun hatte ihn die Wirklichkeit wieder. Verzweifelt sucht er das Ende der Bettdecke, um seinen Kopf darunter hervor zu stecken. Jetzt hatte er es geschafft. Mit fast geschlossenen Augen, verklebt von der Nacht, suchte er seinen Radiowecker, dessen Display ihm verriet, daß es 10 Uhr 32 war. 'Zu früh zum Aufstehen', dachte er, ergriff den Wecker und visierte damit auch schon den Mülleimer an, der ausnahmsweise mal nicht von der sonst immer geöffneten Kleiderschranktür verdeckt war. Dolly, seine momentane Freundin und Assistentin, hatte gestern aufgeräumt.
Während der Radiowecker, der sich mit seinem Stecker krampfhaft in der Steckdose festklammerte, in seinem Flug schlagartig innehielt, um im Sturzflug auf Jerry's rechtem Knie zu landen, fiel Jerry ein, daß Radiowecker gar nicht klingeln, sondern tuten oder mit sanfter Stimme des Nachrichtensprechers oder gar Musik ihren Zweck erfüllen. Das Klingeln mußte also eine andere Ursache haben.
Er kombinierte... Der rhythmischen Gleichmäßigkeit nach zu urteilen, mußte entweder ein Roboter vor der Tür stehen, oder das Telefon klingeln. Jerry entschied sich für den bequemsten Weg. Da sein Telefon in Reichweite seines Bettes stand, tastete er nach dem Hörer. Er meldete sich mit einem kargen "Ja?"
"Jerry? Ich bin's, Dolly! Also stell dir mal vor, meine Diamanten sind weg! Die wunderschönen Diamanten, die ich soo gerne trage, sind einfach verschwunden! Heute Abend wollte ich sie mal wieder tragen, und jetzt...die Diamanten, die du mir aus Paris mitgebracht hast. Ich will unbedingt ein Paar neue haben! Jerry, hörst du, Jerry?" Jerry hatte schon aufgelegt.
Es hatte also jemand seiner, ausgerechnet seiner Dolly die Diamanten gestohlen. 'Na', dachte er, 'der wird sein blaues Wunder erleben!'
Schon ist er in seinen Anzug gesprungen, hat seinen Schulterhalfter umgeschnallt, in dem seine Smith-Wesson wohnt, hat sich sein Jackett übergeworfen, und hechtet auch schon die Treppe hinab. Im Flug bremst er schlagartig ab. "Verdammt, die Schlüssel!" Er kramt hektisch in seiner Tasche, atmet erleichtert auf "Glück gehabt" ...und hechtet weiter. In der Haustür angekommen, ändert er seinen Fortbewegungsstil in einen schnellen Gang und steuert geradewegs auf seinen Sportwagen zu, beiläufig seine Krawatte geraderückend.
Eine Nachbarin kommt ihm freundlich lächelnd entgegen: "Guten Morgen, Herr Kaiser!" "Guten Morgen" entgegnete Jerry knapp und denkt sich: 'Wenn die wüßte, wer ich wirklich bin!' Er öffnet die Tür seines Wagens, einem aus der berühmten Sportwagenschmiede in Wolfsburg, und rast los.
Nach kurzer Zeit dringt Jerry ein verdächtiger Geruch in die Nase. 'Ein Attentat', weiß er sofort und beginnt, nach einer Bombe oder etwas ähnlichem suchend, sich umzusehen. Und tatsächlich: Sabotage! Jemand hatte Jerry's Handbremse angezogen. Er glaubte wohl, Jerry würde das nicht merken, aber Pustekuchen. Nachdem Jerry die Handbremse gelöst hat, verschwindet der Geruch wieder.
Jetzt hat er Dolly's Haus erreicht. Er läßt sein Auto an der Straße stehen, springt heraus und stürzt in den Hauseingang. Er beeilt sich, damit Dolly nicht aus Versehen wichtige Spuren verwischt. Er nimmt beherzt Anlauf, um mit zwei, nein, drei Schritten die 2O Stufen hohe Treppe vor Dolly's Appartement hinauf zu hechten.
Ja, meine Damen und Herren, das dürfte neuer Weltrekord sein!
Doch nein, für die letzte Stufe mußte er sein Kinn zu Hilfe nehmen.
Schade, das gibt Abzüge in der B-Note .
Jetzt steht er vor Dolly's Appartement. Er sieht noch einmal auf's Türschild, um sicher zu gehen, daß er sich auch vor der richtigen Tür in der richtigen Etage im richtigen Haus in der richtigen Straße in der richtigen Stadt im richtigen Land auf dem richtigen Kontinent befindet, und nicht vor der falschen Tür in der falschen Etage ........
"Dolly Delight" steht dort in verschnörkelten Buchstaben. Jerry ist richtig. Doch was ist das? Jerry will gerade klingeln, als er bemerkt, daß die Tür nicht verschlossen, sondern nur angelehnt ist, wahrscheinlich ist der Räuber zurückgekehrt und Dolly ist jetzt in großer Gefahr!
Ganz vorsichtig öffnet Jerry die Tür, betritt den Flur, durchschleicht ihn auf seine unnachahmliche Weise, erreicht das Arbeitszimmer, dessen Tür auch nur angelehnt ist, öffnet sie, steckt seinen Kopf durch den Spalt: Nichts, alles in Ordnung. Jerry will sich gerade eine Zigarette anstecken, als er auf einmal hinter sich ein Klicken vernimmt. Ein gespenstisch bekanntes Klicken...
Ein Klicken wie das Klicken des Abzuges einer 44er Magnum. Im Bruchteil einer Sekunde hat Jerry seine Zigarette weggeworfen, sein Feuerzeug wieder eingesteckt, ist hinter das rosafarbende Plüschsofa in Deckung gesprungen, hat sein Jackett ausgezogen, seinen Schulterhalfter aufgeknöpft, seine Smith-Wesson gezogen, entsichert, und hat das ganze Magazin leergeschossen.
Als der letzte Schuß aus Jerry's Revolver als lautes Piepsen in seinem Ohr verstummte, wagte er seine Augen zu öffnen und vorsichtig über die Sofalehne zu linsen. Vor ihm bot sich ein Bild des Grauens: Das Zifferblatt war durchsiebt, die Zeiger total verbogen, in der Tür klafften einige erbsengroße Löcher. Die große Standuhr mit dem Westminster-Schlag wollte gerade 11 Uhr einläuten, als Jerry sie in Notwehr erschoß. Eine Kugel mußte sie mitten ins Uhrwerk getroffen haben.
Jetzt bemerkt Jerry das leere Päckchen Fromms, auf das mit Augenbrauenstift in Dolly's Schrift zu lesen steht: Jerry, ich bin nur kurz in den ALDI, bin gleich zurück! Jerry beschließt, im Bad seinen Gesichtsausdruck ein wenig aufzufrischen, als ihn ein gellender Schrei ins Arbeitszimmer zurückbewegt.
Dolly steht leichenblaß, mit weit aufgerissenen Augen und herabhängenden Unterkiefer vor den traurigen Überresten der Standuhr: "Jerry, was ist qeschehen?" - "Nur 'ne kleine Schießerei. Aber mach Dir keine Sorgen, mir ist nichts passiert!"
"Moment mal", kommt Dolly ein Idee und sie öffnet die Tür der Standuhr, hinter welcher die großen Messinggewichte sonst ihre Arbeit verrichtet hatten. Sie kramt ein kleines Schächtelchen zwischen Holzspittern und Glasscherben hervor und öffnet es. "Die Diamanten! Ich hatte sie hier versteckt, damit nicht ein Freier auf die Idee kommt, sie mitgehen zu lassen!"
Jerry mixt sich gelassen einen Wodka-Martini (geschüttelt, nicht gerührt!), und während er den ersten Schluck genüßlich seinen Gaumen hinunter gleiten läßt, sieht er sich am Nachmittag vor dem Fernseher sitzen, einen Film mit seiner Lieblings-Schauspielerin verschlingend.


V-ger ----- (erschienen 1987 im PD Nr. 7)







Die Geburt der Ersetzbarkeit


Eines Tages beschlossen die Hauptwörter, die Adjektive abzuschaffen.
Die Gleichheit hatte festgestellt, daß das Verhältnis der Wörter untereinander immer schlechter geworden war, und daß Neid und Mißgunst ein leichtes Spiel hatten, sie gegeneinander aufzuhetzen. Die beiden arbeiteten Hand in Hand mit Geringschätzung und Hochmut, und zuweilen ließ auch der Wettstreit eine kleine Bemerkung fallen, wie etwa "Neulich hörte ich den lieblichen Geruch sagen, er sei halt etwas Besseres, als der angenehme Geruch. Was sagst denn du dazu, beißender Geruch...?" oder "Der sonnige, vogelgezwitschererfüllte Wald hat jetzt übrigens ein drittes Adjektiv bekommen: friedlich... Und du, feuchter Wald, hast du noch immer nur eines???"

Und so waren selbst unter gleichen Wörtern nur selten gemeinsame Bekannte, wie etwa die Wörter Freundschaft oder Familie zu finden.
Da die Gleichheit den Vorsitz des großen Kommitees inne hatte (die Gerechtigkeit war im Urlaub und hatte ihr für diese Zeit das Amt übertragen) und unter diesen Zuständen sehr litt, beschloss sie, die Adjektive aus dem Verkehr zu ziehen, damit die Wörter sich nicht mehr gegenseitig ausstechen konnten. Sie diskutierte den Vorschlag mit den anderen Mitgliedern des Rates und stieß bei der Eintönigkeit und der Monotonie sofort auf Begeisterung. Die Abwechslung wurde einfach überstimmt.
So wurden also die ganzen Adjektive von ihren Hauptwörtern getrennt, was eine sehr traurige Angelegenheit war, weil sich viele schon sehr aneinander gewöhnt hatten. Die Seifenblase mußte ihr "schillernd" aufgeben, Augen waren nicht mehr leuchtend und auch nicht mehr grün oder blau oder grau, und die Liebe hatte eine kleine Träne in den Augenwinkeln, als das Adjektiv "erwiderte" von ihr weggerissen wurde. Die Adjektive wurden in einem großen Gebäude zusammengepfercht und von den Wörtern Sachlichkeit und Nüchternheit streng bewacht.
Anfangs ging auch alles ganz gut, wenngleich viele Wörter Schwierigkeiten hatten, einander wiederzuerkennen, wenn sie so gänzlich nackt voreinander standen.

Doch nach einiger Zeit kam eine Delegation zur Gleichheit und bat um eine Unterhaltung. Erstaunlicherweise waren darunter eine Menge Wörter, die für diese Aktion gewesen waren, so zum Beispiel die Langeweile, die Eintönigkeit und die Monotonie. "So geht es nicht weiter", lautete ihre Klage." Wir haben viel zu viel zu tun! Wir komme kaum hinterher, weil sich unser Gefühl - Langeweile, Eintönigkeit, Monotonie - überall gleichzeitig breitmacht. Die Abwechslung ist schon lange arbeitslos und Neugierde und Überraschung haben auch nicht mehr viel zu tun.'' "Naja...", antwortete die Gleichheit zögernd, "aber dafür gibt es auch kaum noch Streit..."
"Aber etwas viel Schlimmeres ist noch passiert", fiel ihr die sonst sehr bedächtige Vorausschau ins Wort. "Es ist gestern ein Wort geboren worden, das es vorher nicht gab und das unsere ganze Welt zerstören könnte...gestern wurde die Ersetzbarkeit geboren! Und ich fürchte, daß die Gleichgültigkeit bald folgen wird..."
"Das ist allerdings sehr bedenklich...", erschrak die Gleichheit und ließ augenblicklich wieder eine große Sitzung anberaumen. Sie übernahm wieder den Vorsitz, als sie jedoch gerade anfangen wollte, zu sprechen, trat plötzlich die Gerechtigkeit ein (sie hatte sich aus dem Urlaub übrigens ein kleines Adjektiv mitgebracht - sonnengebräunt - das ihr jedoch an der Grenze sofort wieder abgenommen worden war) und fragte verwirrt und empört, was denn eigentlich los sei - es hatten sich schon etliche Wörter massiv bei ihr beschwert.
"Aber...aber ich wollte doch nur helfen...", stammelte die Gleichheit den Tränen nahe. "Und hattest die Individualität dabei fast umgebracht...", sagte die Gerechtigkeit leise. "Ich dachte, es sei in deinem Sinne, wenn es keine Unterschiede mehr zwischen den Wörtern gäbe", versuchte sich die Gleichheit zu verteidigen. "Das hat doch nichts mit Gerechtigkeit zu tun," brauste die Gerechtigkeit auf, "es hilft doch nichts, die Wörter einfach ihrer Persönlichkeit zu berauben, das macht sie doch nur kaputt!!"

"Was hätten wir denn sonst tun sollen? ICH kenne niemanden, der uns helfen könnte, gegen die alten Mißstände anzukämpfen, wenn wir die Adjektive wieder freiließen!" "Das hatte ich befürchtet" sagte die Gerechtigkeit und lächelte traurig, "deswegen habe ich Euch eine Freundin mitgebracht." Die Tür schwang auf und gab den Blick auf ein kleines unscheinbares Wort frei, das aber eine solche Ausstrahlung besaß, daß alle Wörter im Saal unwillkürlich den Atem anhielten.
Und so trat sie sanft und mächtig vor: Die Toleranz...


Yentl ----- (erschienen 1988 im PD Nr. 41)






Melissa


DR. JOHN FOGERTY WAR AM ZIEL SEINER TRÄUME.
Jahrelang hatte er dafür hart gearbeitet und viele private Dinge zurückstellen müssen. Die Enttäuschungen in seiner Jugend, das ungeliebte dogmatische katholische Elternhaus, die strenge Erziehung durch seine puritanische Mutter, die Unfähigkeit seines Vaters, gegen ihre übermächtige Dominanz aufzubegehren, all das hatte Fogerty geprägt.
Nie hatte er das Leben eines "normalen" Jugendlichen führen können. Isoliert aufgewachsen, ferngehalten von anderen Kindern, die "proletarisch" und "primitiv" waren, wie seine Mutter zu sagen pflegte, war er von Privatlehrern erzogen worden und hatte die besten Internate Englands besucht.
Der intellektuell frühreife Junge wurde der Stolz seiner Mutter, die ihn genauso formte, wie sie ihn haben wollte. Er genoß nie die "Freuden der Jugend", wie er es immer nannte, hatte mit 20 noch keinen Kontakt zu Mädchen gehabt, kannte keine Discos, Kneipen, keine Vergnügungen. Selbst bei Kino- und Theaterbesuchen oder zum Schwimmen waren seine Eltern seine einzigen Begleiter gewesen.
Ansonsten saß er über seinen Schularbeiten, und später vergrub er sich in seine wissenschaftlichen Studien.
Jetzt, mit 30, hatte er es geschafft: Er war ein angesehener Chirurg, ein glänzender Mediziner, der auch menschlich geschätzt wurde von Kollegen und Freunden.
Freunde – die hatte sich der notorische Einzelgänger schwer erkämpfen müssen. In den Studienjahren bekam er zum ersten Mal seit der Schule wieder verstärkt Kontakt zu anderen Menschen. Durch seine KommilitonInnen lernte er eine Welt kennen, die ihm bis dato verschlossen gewesen war. Tom und George, seine Studien-Kollegen von Beginn an und seine engvertrautesten Freunde, schleppten ihn mit nach Soho, auf Parties, Bälle, Kunstausstellungen, ins Kino und Theater.
Sie halfen ihm, offener zu werden, machten ihn mit Leuten aus Künstlerkreisen bekannt, weckten sein Interesse für irdische Genüsse...
John blühte in diesen Jahren regelrecht auf. Und – gerade als er sein Examen gemacht hatte, passierte etwas, was sein ganzes bisheriges Leben total aus der Bahn warf.
Er lernte in einem Rockschuppen im Osten Londons – früher hatte er solche Discotheken immer verabscheut, heute wurde er mehr und mehr von dieser Glitzer- und Glamourwelt angezogen – Melissa kennen, ein Mädchen, auf den ersten Blick ein flippiger Punk-Typ – Laut, ausgelassen, temperamentvoll.
Sie schien jeden Mann im Handumdrehen bezaubern und für sich einnehmen zu können, und auf John übte sie eine geradezu animalisch-erotische Anziehungskraft aus, wie er es noch nie erlebt hatte. Sie kannte einige von Johns Freunden, und John wunderte sich, als sie an jenem Abend, als sie mit sechs Leuten in der Tanzbar waren, ausgerechnet mit ihm eine Unterhaltung begann - wo er sich doch erst einmal schüchtern und still mit in die Runde gesetzt hatte und kein Wort herausbekam, gerade weil ihn Melissas Gegenwart nervös und unsicher machte. Und aus dem anfänglichen Small-Talk wurde eine intensiv-angeregte Unterhaltung, und Melissa schaffte es schnell, John aufzutauen.
Und John stellte zu seiner Überraschung fest, daß hinter der Fassade dieser Nacht-Schwärmerin alles andere als ein oberflächliches uptown-girl steckte, sondern eine sehr sensible und hochintelligente Persönlichkeit, ein Mädchen, das tagsüber in einer Buchhandlung arbeitete – eigentlich eine Notlösung, da sie keine Stellung als Lehrerin finden konnte. So unterhielten sie sich stundenlang über Literatur, Kunst und Film. Und entdeckten ihre gemeinsamen Vorlieben, während Johns Freunde staunend Und wissend lächelnd sich diskret in eine andere Ecke zurückzogen.
John kam das alles wie ein Traum vor. Dieses Mädchen, was sich ausgerechnet für ihn interessierte – wie konnte ein Mensch nur so ein Doppelleben führen? Diese Ambivalenz von Intellekt und Sinnlichkeit, von rotzfrecher Abgedrehtheit und scharfem, nahezu philosophisch-analytischem Verstand zog ihn total in seinen Bann. Noch nie hatte er einen Menschen kennengelernt, der so unvoreingenommen und freisinnig lebte, ohne Schubladendenken, ohne Etikette, ohne Maßstäbe.
Melissa hatte immer jemanden wie ihn gesucht – keinen Macho, keinen Kneipenhänger, keinen Disco-Typ. Und wenn sie sich in diesem Ambiente herumtrieb, dann auch aus einem gewissen Zynismus heraus: Um sich selbst zu beweisen, daß sie jeden von diesen dummen, eingebildeten, materialistischen und notgeilen Typen aufreißen konnte, wenn sie sich genauso gab wie sie. Das machte ihr Spaß und half ihr über den Frust hinweg, einfach nicht den Mann finden zu können, den sie sich wünschte. Einen völlig anderen Menschen so wie John, der sich so vollkommen mit ihr auf einer geistigen Ebene befand. Äußerlichkeiten spielten plötzlich überhaupt keine Rolle mehr – er, John, der immer elegant gekleidete Gentleman und Melissa, ein Paar, wie es optisch nicht gegensätzlicher sein konnte. Er bekam es regelrecht mit der Angst, das konnte doch nicht gutgehen, was wollte sie von ihm?
Sie gingen in den nächsten Wochen fast jeden Abend zusammen aus, und als Melissa schließlich aktiv wurde und ihm versicherte, daß sie sich wirklich in ihn verliebt hatte, legte John all seine Hemmungen, Selbstzweifel und Komplexe, seine ganze Schüchternheit ab. Er war nur noch auf Melissa fixiert. Sie, die so außerhalb jeglicher wohlanerzogener bürgerlicher Normen lebte, wollte ihn, ihn ganz allein – und war sogar bereit, ihn zu heiraten. Es war das vollkommene Glück! Mit ihr holte John alles nach, was er in seiner Jugend versäumt hatte. Aus dem strebsamen, aber verklemmten Eremiten war ein lebenslustiger, weltoffener junger Mann geworden, der das Leben nun in vollen Zügen genoß!
Dank Melissa – die ihm Kraft und Selbstvertrauen gab, ihn immer wieder forderte, motivierte und überraschte, ihm neue Horizonte eröffnete. Das beflügelte John nicht nur privat, sondern gab ihm Energie für seine Karriere.
Nun – drei Jahre nach ihrer Heirat – war John ein angesehener Mann. Er arbeitete an neuen Forschungsprojekten, begann sich für Grenzwissenschaften zu interessieren. Während seiner Studienzeit hatten ihn und seine Kollegen vor allen Dingen immer wieder ein Thema fasziniert: die Erforschung von tödlichen Krankheiten wie Krebs und Aids. Und damit in Verbindung eines der ältesten Fragen der Medizin, der ureigenste Menschheitstraum: Wie der Mensch jung und gesund bleiben kann, wie er sein Leben verlängern kann.
Aus New York kamen aufsehenerregende Nachrichten von Wissenschaftlern, die neue Seren entwickelt hatten und sie an erkrankten Tieren mit Krebs- und Magendarm- Geschwüren ausprobiert hatten. Es wurde berichtet, daß Gibbonäffchen, die vom Krebs befallen waren, nach Injektionen wieder völlig gesundeten und darüber hinaus länger lebten als üblich.
Als man an gesunden Artgenossen die neuentwickelte Essenz austestete, stellte man fest, daß die Tiere tatsächlich den normalen Altersdurchschnitt übertrafen. Ein Gorillaweibchen soll sogar sein Junges um zehn Jahre überlebt haben!
John ließen diese sensationellen Forschungsergebnisse keine Ruhe. Auf mehreren Medizinerkongressen hielt er Vorträge und wagte die kühne Behauptung, daß nun erste Schritte gelungen seien, etwas zu erreichen, wovon die Menschheit seit Jahrtausenden geträumt hatte: die Unsterblichkeit!
Viele Kollegen kritisierten ihn hart, manche verlachten ihn und aus kirchlichen Kreisen wurde ihm Vermessenheit und Gotteslästerung vorgeworfen.
John ließ sich nicht entmutigen, reiste Dutzende Male nach Amerika, um sich mit Wissenschaftlern auszutauschen. Schließlich war der Zeitpunkt gekommen, an dem man die Spritze an einem krebskranken Menschen ausprobieren wollte.
John wollte bei diesem historischen Moment dabei sein und flog nach Los Angeles.
Und dann passierte das Unfaßbare...!
Melissa starb bei einer Fehlgeburt. John reiste wie paralysiert nach Hause zurück, stumm vor Entsetzen. Erst, als er Melissa am Totenbett gegenüberstand, wurde ihm die ganze schreckliche Wahrheit bewußt. Im Tode schien sie noch schöner geworden zu sein, ihr Gesicht noch anmutiger, ihr ganzer Körper schien zu glühen, über ihre Wangen hatte sich ein rötlicher Schleier gelegt, als würde sie noch leben.
John brach zusammen. Er weinte, schrie, bekam einen Tobsuchtsanfall und schloß sich tagelang in seiner Wohnung ein. Er war nicht dazu zu bewegen, an Melissas Beerdigung teilzunehmen. Alles, wofür er gelebt, gearbeitet hatte, war dahin... Melissa, die ihm alles bedeutet hatte, die seinem Leben einen Sinn gegeben hatte, war brutal und abrupt aus seinem Dasein gerissen worden.
John konnte es nicht begreifen. Seine Seele verfinsterte sich immer mehr, er zog sich allmählich von all seinen Freunden zurück, schottete sich ab, begann zu trinken. Aller Lebensmut hatte ihn verlassen. Er war nicht mehr fähig zu operieren und gab schließlich seinen Beruf auf. Von niemandem wollte er sich helfen lassen.
Keinen seiner Freunde ließ er an sich heran.
Knapp drei Monate nach Melissas Tod verließ er zum ersten Mal wieder sein Haus. Um drei Uhr morgens suchte er den Friedhof auf. Wie ein Besessener rückte er Melissas Grabstein beiseite und fing an zu graben. Keuchend legte er den schweren Eichensarg frei und hebelte den Deckel mit einer Eisenstange ab.
Melissa! – Sie sah fast unverändert aus. Man hatte sie einbalsamiert. Der Tod hatte so gut wie keine Spuren hinterlassen. Sie sah aus, als ob sie schliefe... als ob das blühende Leben noch in ihr wäre...!
John wuchtete den Sarg in seinen Wagen, ganz langsam, mit all seinen Kräften. Dann hievte er eine Imitation des Sarges in die Grube und richtete alles wieder so her, wie es gewesen war. Niemand würde bemerken, daß ihr Grab leer war.
Ja, er würde nicht aufgeben! In den vergangenen Wochen hatte er alle neuen Forschungsresultate zusammengetragen. Er würde es schaffen!!! Er fuhr mit der Leiche aufs Land, wo er sich in einem alten Bauernhaus ein Labor eingerichtet hatte. Er riegelte das Gelände hermetisch ab, verbarrikadierte das Haus und begann, Melissas Leiche zu konservieren, einzufrieren...
Dann konnte die Arbeit beginnen...!
Die britischen Zeitungen – danach die Zeitungen in aller Welt – brachten nach und nach ausführliche Berichte um das Rätsel des vermißten prominenten Chirurgen John Fogerty. Wochenlang rissen die Schlagzeilen, die Spekulatuionen nicht ab.
Die einen vermuteten, John habe Selbstmord begangen, die anderen, er habe sich ins Ausland abgesetzt und eine neue Identität angenommen.
Schließlich verschwand Fogerty nach und nach aus den Presseschlagzeilen – die Zeit läßt auch prominente Persönlichkeiten in Vergessenheit geraten. Dann erklärte man ihn für tot!
Eine Einbruchsserie in Krankenhäusern, Laboratorien, Universitätskliniken und medizinischen Instituten in England und Amerika – in größeren zeitlichen Abständen, aber in schöner Regelmäßigkeit – hielt die Medien mehrere Jahre lang in Atem. Ganze Laboreinrichtungen waren verschwunden, lebenswichtige Elixiere und literweise Proben von Seren, die noch in der Entwicklung waren.
Die Sonderkommission, die mit diesen unglaublichen Vorgängen betraut wurde, stand vor einem Rätsel. Es gab nicht die Spur eines Hinweises, die Einbrüche und Diebstähle waren mit einer perfekten Präzision ausgeführt worden.
Die Krebsforschung hatte durch dieses Desaster herbe Rückschläge erlitten. Viele Patienten hatten sterben müssen, weil lebensrettende Medikamente und Präparate nicht mehr ausreichend zur Verfügung standen. Die Ermittlungen führten zu nichts. Der Täter hatte alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Niemand hatte auch nur je seine Silhouette zu Gesicht bekommen, es gab keine Fingerabdrücke, keine zurückgelassenen Gegenstände, nichts...
Und dann war es plötzlich vorbei: Die Serie riß ab....

Das alte Landhaus war von außen verfallen. Tiefe Risse zogen sich durch das Mauerwerk. Der Efeu wucherte in wilden Windungen bis zum Dachfirst des dreistöckigen Gebäudes. Niemand hielt das Anwesen für bewohnt. Doch die Innenwände waren mit Blei präpariert. Nicht das geringste Geräusch, nicht der kleinste Lichtstrahl drang nach draußen. Selbst die Luftklappen unter der Regenrinne waren von außen nicht zu sehen und konnten mit einem Stahlklappe versiegelt werden.
Niemand bemerkte etwas von dem unheimlichen Treiben in den Gemäuern...
John Fogerty hatte eine Essenz entwickelt, die die Verwesung von Melissas Leiche verhinderte. Während der Arbeitspausen verwahrte er Melissa in einem von ihm konstruierten Plexiglas-Sarg auf, und das künstlich geschaffene Vakuum tat sein übriges, um Melissas wunderschönen Körper zu erhalten.
John – hin- und hergerissen zwischen seinen beiden Rollen als schmerzerfüllter Liebhaber und kühl-rationaler Wissenschaftler – arbeitete wie ein Besessener.
Doch aus einem Fehlschlag, Melissa wieder zum Leben zu erwecken, wurden Dutzende, Hunderte...
Der Sarg wurde mehr und mehr zu einem Altar, an dem John wieder und wieder wild entschlossen schwor, nicht aufzugeben. Melissa war der Katalysator, der ihn vorwärts peitschte...!
Er schuf ein elektrisches Herz, versuchte mit Dutzenden von Substanzen die Herzmuskeln zu aktivieren, doch vergeblich... Längst hatte er sich völlig von seiner Außenwelt abgeschlossen. Selbst sein Essen stellte Er synthetisch her. Er las unentwegt und eignete sich ein Wissen an, das die Erkenntnisse von Ärzten, Biochemikern und Chirurgen aller Zeiten und Welten bei Weitem übertraf!
Er versuchte es mit allem, was möglich war: Seren, Antibiotika, künstliches Blut- Plasma – und er machte dabei Entdeckungen, die ihm den Nobelpreis für Medizin eingebracht hätten. Er hätte tausend Menschenleben retten können. Doch für ihn gab es nur eins: MELISSA...!!!
Der Schlüssel zur Unsterblichkeit mußte in der Chemie des Blutes liegen! Er hatte dem Herz zuviel Aufmerksamkeit geschenkt und beschäftigte sich fortan nur noch mit dem Blutkreislauf.
Das synthetische Blutplasma war der Jungbrunnen. Die Lösung, das Altern zu verhindern, hatte er längst gefunden. Und eines Tages schaffte er es: Er fand eine Essenz zur Wiederbelebung der roten und weißen Blutkörperchen!
Es konnte keine Zweifel mehr geben: er war am Ziel!!

Es waren die längsten Stunden seines Lebens, als er beobachtete, wie sich das Blut In den Reagenzgläsern langsam belebte, wie sich ein kleiner Zylinder mit der kost- barsten Flüssigkeit der Welt langsam füllte. Dann zog er die Spritze auf und injizierte mit zitternden Händen. Nahe einem Nervenzusammenbruch wartete er...
Ein roter Schatten begann sich über Melissas Wangen, über ihre Lippen zu legen.
Und dann... kein Zweifel... – sie atmete!! John blieb fast das Herz stehen...!
Ganz allmählich öffnete sie die Augen.... gähnte wie nach einem kurzen Schlummer – War sie NICHT WIRKLICH nur eine Zeitlang ohnmächtig gewesen? Wie in einem tiefen Koma? Nein, für John war sie nie tot gewesen...
"Melissa", stammelte er. – "Mein Liebling, Du lebst!! Komm in meine Arme, so wie es früher war...!!"
Den Ausdruck in ihren Augen, als sie ihn wahrnahm, würde John niemals mehr vergessen können. Und ihren markerschütternden Schrei, voller Ekel, Abscheu und Angst!
"Wer sind Sie??... Gehen Sie weg!!" schrie sie und floh vor ihm durch das Labor, die alte Treppe hinunter. John rannte hinter ihr her. Im zweiten Stock stürzte Melissa durch die Diele und brach durch die morschen Fußbodenbretter. Mit dem Kopf schlug sie im Keller auf und starb zum zweiten Male in einer schrecklichen, sich ausbreitenden Blutlache...
John war dem Wahnsinn nahe und hetzte brüllend und schluchzend wie ein waidwundes Tier durch das Haus, durch Räume, in denen er seit urlanger Zeit nicht mehr gewesen war...
Und als er in dem, was einmal das Schlafzimmer gewesen war, vor einem großen Wandspiegel stand, wurde ihm schlagartig bewußt, was der Grund für Melissas Erschrecken war...
John Fogerty hatte den Schlüssel zur ewigen Jugend, zur Unsterblichkeit gefunden! Aber er hatte vergessen, für sich selber zu sorgen!
Die grauenerregende, leichenblasse, ungepflegte Fratze eines ekelhaften Greises war sein eigenes Spiegelbild...!
John Fogerty, der in seiner manischen Besessenheit für Melissa Zeit und Raum vergessen hatte, wußte nicht mehr, ob vierzig oder fünfzig Jahre seit Melissas Tod vergangen waren... er wußte nur eins: er hatte sein Leben verwirkt...!

ZEIT MACHT NUR VOR DEM TEUFEL HALT...


Murphy ----- (Erscheinungsjahr muß noch erforscht werden ;))









Hier wird noch weiter gebastelt, bitte etwas Geduld :-)